Es ist ein weit verbreiteter Irrtum, ‘lieben’ mit ‘brauchen’ zu verwechseln. Lieben und brauchen sind nicht nur keine Synonyme, sondern schließen sich aus. Wie kannst du wissen, ob du brauchst oder liebst? Dies ist sehr einfach: Immer dann, wenn du von ihr oder ihm nicht das erhälst, was du dir wünschst, du ihr oder ihm das übel nimmst und sich Ärger, Wut und Enttäuschung zeigen, hast du klare Belege dafür, dass du sie oder ihn brauchst. Du brauchst sie oder ihn sogar so sehr, dass du sie oder ihn angreifst, bestrafst, entwertest, beschimpfst, die kalte Schulter zeigst, beleidigt und beleidigend bist oder sie oder ihn in diesem Augenblick sogar am liebsten umbringen möchtest.

Wie steht's um deine Liebe, wenn du nicht bekommst, was du brauchst?
Solange du die Liebe des anderen für dein Glück brauchst, solltest du nicht davon sprechen, sie oder ihn zu lieben. Nicht sie oder ihn liebst du, so wie sie oder er ist. Was du an ihr oder ihm liebst, ist ihre oder seine Liebe zu dir. Dies merkst du spätestens dann, wenn sie oder er dir ihre oder seine Liebe entzieht, und statt Liebe Haß in dir auftaucht. Liebe hat nie eine Funktion, die sie zu erfüllen hätte. Sie benötigt keine Vorleistungen oder die Erfüllung von Voraussetzungen, wie z.B. „Meine Liebe zu dir existiert nur dann, wenn du mich liebst“. Sie ist kein Gebrauchgegenstand, erfüllt keinen Zweck sondern ist ein Seinszustand, der aus sich selbst heraus existiert.

Liebe ist ein Seinszustand
Aber wie kannst du deine Liebe behalten oder überhaupt erst fähig zur Liebe werden, wenn du ihre oder seine Zuwendung, Aufmerksamkeit, Beachtung, Wertschätzung, Anerkennung, Bestätigung etc. so unverzichtbar dringend benötigst?
Der erste Schritt dazu ist, dich die- oder derjenige sein zu lassen, die/der du in diesem Moment bist. Das bedeutet, dir zu erlauben, deine vorhandene Bedürftigkeit zu spüren, sie nicht wegzudrücken, zu ignorieren oder zu verleugnen. Kurzum, dies bedeutet, die Realität deiner Befindlichkeit als das wahrzunehmen was sie ist, ohne sie verändern zu wollen. Auch wenn es alles andere als angenehm ist, die eigene Bedürftigkeit zu spüren, hat diese Empfindung wie alle anderen auch nur die eine Aufgabe, dass du sie wahrnimmst. Sie ruft dich, damit du dich um sie kümmerst. Sie ist eine Einladung oder sogar ein dringlicher Notruf, dich der- oder demjenigen zuzuwenden, der bedürftig ist. Wenn du deiner Partnerin oder deinem Partner die Verantwortung überträgst, deine Bedürftigkeit zu stillen, schiebst du sie zu ihm oder ihr, wie eine Mutter, die ihr hungriges Kind jemandem aufdrängt, weil sie es nicht haben möchte. Ein solches Verhalten bewerten wir als lieblos und grausam. Wenn es dir gelingt, mit deiner Bedürftigkeit in freundlicher oder besser noch liebevoller Präsenz zu sein, beginnt die Alchemie zu wirken, die mangelnde Selbstwertschätzung in Selbstliebe verwandelt. Endlich erlangt die eigene bisher abgelehnte Bedürftigkeit deine Aufmerksamkeit und erfährt, dass du dich ihr zuwendest. Damit dieser Verwandlungsprozeß beginnen kann, brauchst du nichts anderes zu tun als nichts zu tun und deiner Bedürftigkeit und dem ihr innewohnenden Schmerz beizuwohnen. Du erlaubst dir, dich so sein zu lassen wie du bist: schmerzende unerfüllte Bedürftigkeit. Mit dir zu sein, so wie du gerade bist, erzeugt Nähe zu dir. Aus dieser Nähe erwächst Liebe.
Dies ist der wichtigste Schritt zur Eigenliebe, aus dem der zweite von allein folgt, wenn du dich dem ersten nicht verschließt. Den eigenen Schmerz, bis jetzt nicht deinen Hunger nach Liebe gestillt bekommen zu haben, in seinem ganzen Umfang zu fühlen, lässt Mitgefühl für den aufkommen, der sich schon immer so ungeliebt fühlt. Aus diesem Mitgefühl entsteht der Wunsch, dem Leidenden oder der Leidenden beizustehen, ihm oder ihr deine Fürsorge entgegenzubringen. Wie kannst du in dieser Situation schmerzhaft erfahrener Bedürftigkeit wie eine gute Mutter für dich sorgen? Verstehst du dieses Leid, dass seine Wurzeln in deiner Herkunft hat? Weißt du, dass deine Natur immer schon Liebe war? Beginne in Frage zu stellen, ob es wahr ist, dass du nicht liebenswert bist! Entlarve alle Selbstbilder und deine daraus entstandene Identität bis du weißt, wer du wirklich bist und immer schon warst!
Erkennst du ein Defizit an Selbstliebe, so kannst du nicht sie oder ihn dich lieben lassen, weil du nicht vermagst dich selbst zu lieben. Nicht dein Partner oder deine Partnerin ist dafür verantwortlich, dass du dich ungeliebt fühlst, sondern alleine du. Solange du es als ihre oder seine Aufgabe siehst, daß sie oder er dich aus Selbstentwertung oder sogar Selbsthaß zu befreien hat, hängt dein Wohl- und Unwohlsein von ihr oder ihm ab. Selbst wenn sie oder er dir von morgens bis abends ihre/seine ganze Liebe zeigt, wird es deinen Zweifel, diese Liebe wert zu sein, nicht aufheben können. Statt ihre oder seine Liebe so dringend zu brauchen wie der Junkie den nächsten Schuß und damit ständig Opfer ihres oder seines tatsächlichen oder vermeintlichen Liebesentzuges (mit vergleichbaren Wirkungen wie beim Drogenentzug) zu sein, wartet das immer schon liebende Wesen in dir voll Ungeduld darauf, endlich von dir in großer Freude als deine eigentliche Natur erkannt zu werden.
Das bedeutendste Unterfangen, das du in deinem Leben angehen kann, ist die Liebe zu dir zu entdecken.

Selbstliebe: Das größte Geschenk für dich, die Menschheit und die Erde